Wer einen Hund in sein Leben holen und gleichzeitig noch etwas Gutes tun möchte, stolpert schnell über eine breite Palette an Tierschutzvereinen. Einige Vereine betreiben ortsansässige Tierheime, andere Vereine zielen darauf ab, Hunde aus dem Ausland (meist Osteuropa oder Spanien) zu importieren und in Deutschland unterzubringen.

Wenn du einen Hund adoptieren möchtest, liegt es an dir, den Verein deiner Wahl genau unter die Lupe zu nehmen. Wer kritisch hinterfragt, vermeidet einerseits Enttäuschungen nach Ankunft des Hundes und trägt andererseits selbst zu verantwortungsvollem Tierschutz bei.

Vor einigen Wochen begegnete mir Laika im Training.

Laika heißt eigentlich anders, da aber die Streitigkeiten mit dem Verein noch nicht vollständig ausgefochten sind, sollen meine Kunden so anonym wie möglich bleiben. Außerdem hat der Name Laika ja gewissermaßen Tradition in der Geschichte bemitleidenswerter Hunde… 

Laika ist eine kleine Zwergspitzhündin, die eine traurige Karriere in einer ungarischen „Zucht“station hinter sich hat. Als Vermehrerhündin lebte sie unter unwürdigen Bedingungen und war dafür zuständig, die Welpen zu produzieren, die später für günstige Preise auf dem mitteleuropäischen Markt verkauft werden. Über eine amtliche Beschlagnahmung gelangte Laika in die Hände eines Tierschutzvereins, der sie nach Deutschland vermittelte.

Auf der anderen Seite stehen Laikas heutige Besitzer – nennen wir sie Anna und Emil. Ein junges Paar aus Berlin, das mit viel Engagement und Motivation an die Adoption heran geht. Anna ist hundeerfahren. Beide scheuen weder Kosten noch Mühen. Sie sind von Anfang an bereit, alles zu tun, um ihrem Hund die Ankunft in Deutschland so einfach wie möglich zu gestalten. 

Nachdem einiger Recherche stoßen sie im Internet auf den Verein, der für Laikas Vermittlung zuständig ist. Laika wird beschrieben als „Sie ist ein bisschen scheu, aber sie bellt und beißt nicht, also keine Sorge. Sie braucht nur ein wenig Zeit, um sich zu öffnen“. Als sie sich für Laika interessieren, bittet der Verein um eine Vorkontrolle per Zoom – vor Ort haben sie leider keine Mitarbeiter. Im Videotelefonat wird die Wohnung samt unmittelbarer Wohnumgebung beobachtet, der Verein ist einverstanden und die Vermittlung nimmt ihren Gang.

Als Anna erstmals Kontakt mit mir aufnimmt beschreibt sie den Hund als „wie ein Stofftier“.

Laika liegt ganztägig in ihrem Körbchen und ist wie eingefroren. Kein Lockreiz der Welt kann sie bewegen, ihr Körbchen zu verlassen. An Spaziergänge ist nicht zu denken. Wenige Tage später bin ich zum ersten Mal bei den Beiden zu Hause und der Eindruck bestätigt sich vollkommen. Mittlerweile ist die Situation immerhin so weit aufgetaut, dass Laika in der Lage ist, ihr Geschäft auf Pipimatten zu erledigen, die ihre Menschen in der Küche direkt neben dem Körbchen ausgelegt haben. Laikas Bewegungsverhalten bewegt sich jedoch im Bereich der reinen Selbsterhaltung. Abgesehen vom Versuch, ihren eigenen Liegeplatz sauber zu halten und dem Gang zum Futternapf in Abwesenheit der Menschen, liegt sich ganztägig wie ausgestopft.

Trotz der Situation der ersten Tage sind Anna und Emil vorerst optimistisch und erhoffen sich, von mir eine Lösung zu bekommen. Um zu beobachten, was Laika in ihrer Abwesenheit unternimmt, haben sie bereits die ganze Wohnung mit Kameras ausgestattet. Um die Hündin aus der Reserve zu locken, hat Anna diverse verschiedene Futtermittel auf Vorrat – Laika scheint jedoch an keinem davon interessiert zu sein.

Wir führen ein ausführliches Anamnesegespräch,

beleuchten Laikas Herkunft genauer und beobachten ihr Verhalten in der Besuchssituation. Ihre Menschen beschreiben mir Laikas Reaktion auf jede Art von neuem Umweltreiz. Schlussendlich verdichtet sich bei mir der Eindruck, dass Laika ein viel weitreichenderes Problem hat als nur „ein bisschen scheu“ sein – ein Deprivationssyndrom. Dank ihrer Herkunft als Vermehrerhündin dürfte sie viele Umweltreize, die für uns selbstverständlich erscheinen, nie kennengelernt haben. Zwar wissen wir keine Details zu ihrer Unterbringung in Ungarn, die Bilder von Hunden, die in Käfighaltung ohne Tageslicht leben sind jedoch grundsätzlich bekannt. Ihr Verhalten in der neuen Umgebung sowie der Bericht des Tierschutzvereins lassen darauf schließen, dass Laika genau dieses Schicksal erlebt haben dürfte. Leider führt das längerfristige Leben in einer derart reizarmen Umgebung gerade in der Sozialisierungsphase zu nachhaltigen Schäden in der Gehirnentwicklung. Es bleiben Einschränkungen zurück, die die Hunde zeitlebens in ihrem Verhalten und ihrer Fähigkeit zu lernen beeinflussen.

Anna und Emil sind etwas überrumpelt und erkennen, dass die Herausforderung größer werden könnte, als sie es der Beschreibung nach erwartet hatten. Jedoch sind sie nach wie vor voll bei der Sache und bereit, alles für ihre Hündin zu tun. Gemeinsam erarbeiten wir einen Plan, um Laika den Start in unserer „normalen“ Welt so einfach wie möglich zu machen. Laika bleibt vorerst in der Wohnung, hält sensorische Diät und darf ankommen. Was uns als ein Minimum an Reizen erscheint, ist für sie immer noch mehr, als sie eigentlich verarbeiten kann.

Das Paar hält sich strikt an die Anweisungen und gibt Laika genau das, was sie in diesem Moment braucht.

Sie verzichten darauf, ihren Hund anfassen, streicheln oder mit Futter locken zu wollen. All das, worauf man sich eigentlich freut, wenn ein Hund einzieht, stellen die beiden zu Gunsten ihrer ängstlichen Hundedame zurück. Und siehe da – erste Erfolge stellen sich ein. In winzig kleinen Tippelschritten beginnt Laika, die Wohnung in Abwesenheit der Zweibeiner zu erkunden. Während Anna am anderen Ende der Kameraüberwachung sitzt und sich ganz leise freut, um Laika nicht durch die geschlossene Tür zu erschrecken, spaziert diese vorsichtig durch die Küche. Es geht voran, aber die Schritte sind klein. Sobald eine kleine Veränderung eingebaut wird, zum Beispiel ein rumliegendes Shirt in einigen Metern Entfernung, erstarrt Laika wieder im Körbchen.

Nach den ersten Erfolgen reflektieren wir, wie es mit Laika weitergehen könnte.

Obwohl es in der Wohnung gut voran geht, steht eine große Hürde bevor. Anna und Emil wohnen mitten in Berlin an einer Hauptverkehrsstraße. Zwar sind wir aktuell noch weit davon entfernt, überhaupt ans Gassigehen zu denken, jedoch ist die Umgebung auch für die Zukunft denkbar ungeeignet. Ob sie jemals so weit kommen wird, dass sie die große Straße stressfrei bewältigen lernt, ist fraglich. Für den Einstieg wäre der Schritt aus der Haustür aber in jedem Fall viel zu groß und würde Laikas Vertrauen in ihre Umwelt immer wieder erschüttern. Gemeinsam denken wir über Lösungen nach. Mehrfach täglich mit dem Auto aus Berlin rausfahren ist kaum realisierbar – abgesehen davon müsste man selbst für den Weg zum Auto über die große Straße laufen. Die Seitenstraßen sind zwar etwas ruhiger, aber immer noch weit entfernt von reizarm. Außerdem sind sie nur über die Hauptstraße zugänglich. Es gibt einen kleinen Innenhof – dieser wäre als erster Anfang zum Lösen denkbar, aber der Schritt in die „reale Außenwelt“ wäre immer noch riesig.

Laikas Menschen, die mit so viel Optimismus und Engagement gestartet waren, beginnen zu zweifeln, ob sie ihrem Hund jemals ein hundegerechtes Leben ohne permanente Angst bieten können. Es wird über Bekannte auf dem Land und ruhigere Wohnlagen nachgedacht. Nach reiflicher Überlegung entscheiden die Beiden, Laika nicht zu behalten. Sie suchen nach einer Lösung, um ihrer Hündin ein geeigneteres Lebensumfeld in ländlicher Umgebung zu ermöglichen. Anna fällt dieser Schritt sichtlich schwer, aber es ist ihr wichtig, im Sinne des Tierwohls zu handeln. Bis zur Abgabe möchte sie weiterhin mit mir zusammenarbeiten, um Laika so viele positive Erfahrungen wie möglich mit auf den Weg zu geben.

Entsprechend der Vermittlungsrichtlinien wendet sie sich an den Verein, der ihr Laika vermittelt hat.

Hier bittet sie um Hilfe für eine passendere Vermittlung und erklärt sich selbstverständlich bereit, Laika solange bei sich zu behalten, bis eine Dauerlösung im Sinne des Hundes gefunden ist. Seitens des Vereins folgt ein Verhalten, das mich mit offenem Mund zurücklässt. Man wirft Anna vor, sie hätte nur keine Lust, sich mit dem Problem zu beschäftigen. Meine Betreuung wird als inkompetent eingestuft. Statt sensorischer Diät und Kleinschrittigkeit rät man ihr, den Hund an eine Hausleine zu hängen und einfach mitzuziehen. Die Hunde würden sich da schon schnell dran gewöhnen und dann auch in ihrer neuen Umgebung ankommen. Anna hält sich an den Ratschlag, bricht aber glücklicherweise von sich aus ab, als Laika in völlige Panik gerät.

In einem weiteren Telefonat besteht auf Seiten des Vereins keinerlei Verständnis. Man teilt Anna mit, Laika würde nach dem Wochenende abgeholt und auf eine Pflegestelle gebracht. Anna versucht richtigzustellen, dass es ihr nicht darum geht, den Hund schnellstmöglich loszuwerden, sondern eine ländliche Wohnumgebung auf Dauer zu finden. Einen schnellen Umzug zu einer weiteren Zwischenlösung, in der Laika sich wieder umsonst eingewöhnt, möchte sie unbedingt vermeiden. Parallel hat sie sich selbst umgehört und in ihrem Bekanntenkreis eine potentielle Adoptantin gefunden. Es handelt sich um eine Fachfrau, die auf dem Land wohnt und bereit wäre, Laika langfristig bei sich aufzunehmen. Leider ist diese Lösung für den Verein inakzeptabel – stattdessen möchte man Laika von der Pflegestelle aus neu vermitteln und ein zweites Mal die Vermittlungsgebühr von 600 Euro einstreichen.

Und nun? Aktuell versucht Anna, eine tragbare Lösung für alle Beteiligten zu finden. Sie hat dem Verein mitgeteilt, dass sie Laika am Montag nicht weiter geben wird, nur um sie wieder an einem Ort zu wissen, an dem sie nicht bleiben kann. Ich bin optimistisch, dass Anna und Emil mit ihrer Hartnäckigkeit schaffen werden, das Beste für Laika rauszuholen.

Aber Laika ist nicht der einzige Hund, den dieses Schicksal im Rahmen seiner Vermittlung ereilt.

Der Tierschutzverein wirbt damit, 500 Zwergspitze pro Jahr nach Deutschland zu vermitteln. Schaut man in die Beschreibungen der Hunde, trifft auf fast alles das Gleiche zu: „Sie ist ein bisschen scheu, aber sie bellt und beißt nicht, also keine Sorge. Sie braucht nur ein wenig Zeit, um sich zu öffnen“. Den Interessenten wird ein falsches, verharmlosendes Bild von dem vermittelt, was sie erwarten könnte. Die Vorkontrollen werden zwar pro forma durchgeführt, aber selbst eine viel befahrene Hauptverkehrsstraße direkt vor der Wohnung reicht nicht aus, damit der Verein Abstand von der Vermittlung eines deprivierten Hundes nimmt. Statt die Situation im Sinne des Hundes kritisch zu beurteilen und nach einer geeigneteren Umgebung zu suchen, lässt man Hund und Mensch ins offene Messer rennen. So kann man sich schließlich über einen Durchsatz freuen, der bei verantwortungsvoller Vermittlung nie zu erreichen wäre. Dass anschließend auch noch Trainingshinweise gegeben werden, die jeder lerntheoretischen Grundlage entbehren und einem Angsthund zusätzliches Leiden bereiten, schlägt dem Fass den Boden aus.

Also, was tun um schwarze Schafe im Auslandstierschutz zu erkennen und Leidensgeschichten wie der von Laika vorzubeugen? 



Zunächst solltest du Ziele und Tätigkeiten des Vereins kritisch hinterfragen.

Nachhaltiger Tierschutz besteht nicht in erster Linie darin, Hunde von einem Ende Europas an ein anderes zu karren. Ein unterstützenswerter Verein leistet Hilfe vor Ort, initiiert Kastrationsprojekte und lindert akutes Leid durch medizinische Versorgung und Co. Dass darüber hinaus Tiere nach Deutschland gebracht werden, hat sicher seine Berechtigung, sollte aber nicht die einzige Zielsetzung des Vereins und erst recht kein profitables Geschäftsmodell sein. Das heißt allerdings nicht, dass ein Hund aus dem Tierschutz nichts kosten darf – eine anständige medizinische Versorgung hat schließlich alleine schon ihren Preis.

Als nächstes solltest du die Inserate genauer unter die Lupe nehmen.

Ein guter Verein bemüht sich um realistische Einschätzung seiner Hunde und versucht nicht, um jeden Preis mit rührseligen Texten irgendeinen Adoptanten zu finden. Natürlich kann es immer passieren, dass ein Hund sich in der neuen Umgebung völlig anders verhält – es wäre unfair, dem Verein dabei direkt böse Absicht zu unterstellen. Wenn jedoch alle Hunde „schüchtern und zurückhaltend“ sind und zudem „so dankbar für das erste warme Körbchen ihres Lebens im Für-Immer-Zuhause wären“, darf man stutzig werden. „Hat mich denn niemand lieb?“ und Co. sind meine besonderen Favoriten. Es ist einfach keinem geholfen, wenn sich unpassende Adoptanten aus Mitleid um die Hunde bemühen. Ehrliche Beschreibungen werden damit einhergehen, dass gewisse Interessenten ausscheiden. Dafür stehen aber die Chancen für nachhaltige Vermittlungen besser und es wird viel Frust und Leid vor allem seitens des Hundes vermieden. Unabhängig von Schreibstil und Rührseligkeit, lohnt es sich übrigens auch, den Inhalt der Beschreibungen kritisch zu hinterfragen. Insbesondere wenn nur junge Hunde vermittelt werden oder wenn der Verein ständig Welpen in Mülltonnen findet, werde ich stutzig.

Zuletzt – da spricht die Tierärztin in mir – sollte eine adäquate tierärztliche Versorgung der Tiere selbstverständlich sein.

Dazu gehört nicht nur, dass akute Erkrankungen vor der Vermittlung behandelt werden. Auch vorbeugende Maßnahmen wie ein vollständiger und vor allem echter Impfstatus gehören dazu. Niemandem ist geholfen, wenn der Hund entgegen den gültigen Tollwut-Bestimmungen als junger Welpe über die Grenzen geführt wird und anschließend in amtliche Quarantäne muss. Genauso ist es mehr als tragisch, wenn ein junger Hund mit gefälschtem Impfpass importiert wird und kurz darauf elendig an Parvovirose verstirbt.

Einem Tierschutzhund ein neues zu Hause zu bieten ist eine tolle Sache. Noch schöner wird es allerdings, wenn ein verantwortungsvoller Umgang mit Hund und Mensch dazu führt, dass beide bestmöglich zueinander passen. Nur wenn die Grundlagen passen, besteht die Chance auf ein nachhaltiges, glückliches Zusammenleben. Und nur dann kann das viel gewünschte Für-Immer-Zuhause auch wirklich Realität werden.